Paula Sansano – Love Matters. Eine Allegorie der Liebe aus 800 Metern Silikonschlauch
Paula Sansano, «Love Matters», Dampfzentrale Bern (Ausschnitt), Foto: Rolf Siegenthaler.

Publiziert in:

A66RE6AT, Blog der Dampfzentrale Bern

9. November 2018

dampfzentrale.ch/a66re6at

Rote Farbe überzieht den Plan des Dampf­zentrale-Foyers mit den feuer­polizeilichen Vor­gaben für die Flucht­wege. Sicher­heit ist oberstes Gebot in Gebäuden und häufig ein Verbot für Inter­ventionen, die sie bedrohen. Doch Wünsche halten sich bekannt­lich nicht gerne daran und suchen ihren Weg, um in Erfüllung zu gehen. Die ver­einzelten weissen Felder inner­halb der roten Sperr­zone reichten der Architektin und Szeno­grafin Paula Sansano aus, um sich festzusetzen und den Raum zu infiltrieren. Ausgehend von drei vier Meter langen und zehn Zenti­meter breiten Leisten führte sie Dutzende rot einge­färbte Silikon­schläuche bis zur Decke. Sie verbinden sich zu drei grossen, dyna­mischen Formen, die mit ihrer Wirkung das ganze Foyer ein­nehmen und erfüllen. «Love matters» heisst die Installation und ist ein Plädoyer, nicht vor Verboten zu kapi­tulieren, sondern sie mit positiver, schöpferischer Energie auszu­reizen, zu dehnen, gar zu verdrängen, um sich und seinem Wunsch Raum zu verschaffen.

Ich betrete das Foyer und gelange sogleich in die Mitte der Installation. Die drei Figuren scheinen sich um mich zu drehen. Sie winden sich in die Höhe, erstrecken sich in den Raum. Im Gegen­satz zu den Boden­leisten sind die Schläuche an der Decke in einer Linie angebracht. Es entsteht eine weitere Dreh­bewegung innerhalb der einzelnen Figuren, die mit mir in Kontakt treten. Die Schlauch­bahnen erzeugen einen Sog, nehmen mich auf, tragen mich mit und entziehen sich wieder. Sie führen über meinen Kopf, legen sich wie eine schützende Hand über mich und stossen mich dann in einem abrupten Richtungs­wechsel wieder ab. Die Figuren und ich werden zu Tanzenden. Wir treten in eine Be­ziehung, die sich mit jedem Schritt wandelt. Die Tanzenden, das sind Eros, Agape und Philia. Das Drei­gestirn umfasst die wichtigsten Arten von Liebe: die erotische An­ziehungs­kraft, die geistige Liebe und die seelische Verbunden­heit.

Mit Eros, Agape und Philia ver­wandelt sich «Love matters» in eine Allegorie der Liebe. Doch wie materialisiert sich diese viel­gestaltige Liebe. Ist sie Materie? Hat sie eine Form? Wird sie sicht­bar als Volumen im Raum? In «Love matters» zeigt sich die Liebe in einem dynamischen Be­ziehungs­feld von Formen und Kräften. Die etwas trägen Körper werden durch das Licht und die Torsion in Bewegung gebracht. Die recht­eckigen Flächen verdrehen sich bis zu kegel­förmigen Volumen. Die Schläuche ver­dichten sich und fächern sich wieder auf. Das Licht spielt auf ihnen wie auf einer Harfe und wechselt die Farbe des trans­luzenten Silikons von Rot zu Gelb, lässt das schwer ent­flammbare Material leuchten oder milchig opak erscheinen.

Wenn die Liebe aus der Beziehung ver­schie­dener Körper und Kräften entsteht, wie stark können wir diese kontrol­lieren respektive wie weit sind wir ihnen ausgesetzt? Der fran­zösische Fotograf Gilbert Garcin (*1929), der Paula Sansanos Arbeit inspirierte, hat unter dem Titel «La mécanique des couples» eine poetische, humor­volle Bilder­reihe geschaf­fen, welche die Beziehung zwischen Paaren aus Sicht der Mechanik angeht. Seine mit Papier, Leim und Schere gebastelten surrea­listischen Collagen, die er sodann foto­grafierte, zeigen ihn und seine Frau als Teile von Mechanismen. In einer Szene scheinen die beiden auf Schlitt­schuhen mehrere Male im Kreis gelaufen zu sein und entfernen sich nun in entgegen­gesetzte Richtungen von­einander. Waren sie so beschwingt, dass die Flieh­kraft sie aus der Bahn geworfen hat oder zeigt das Bild eine bewusste Trennung? Ist die Spur eine Schnur, die beide wieder zu­sammen­ziehen wird, sobald sie ganz entrollt ist? In einer weiteren Szene sehen wir sie am Strand, ihre Hände und Füsse mit Fäden verbunden, die bis in eine Wolke führen. Die Fäden haben sich ineinander verzwirnt und die beiden aus dem Gleich­gewicht gebracht. Auf einem Bein stehend, neigen sie sich einander zu und werden durch die Gravi­tations­kraft gegen den Boden gezogen, während sie mit Arm und Beinen versuchen, das Gleich­gewicht zu halten. Haben sie sich selber verdreht und in diese prekäre Situ­ation gebracht oder wurden sie Mario­netten gleich von einer äussern Kraft geführt?

In der Liebe wird man Teil einer Beziehung, die einen bestärkt, erotisiert, seelische und geistige Ver­bunden­heit schenkt. Gleichzeitig öffnet man sich, setzt sich aus und wird verletzlich. Man über­schreitet seine Grenzen und be­wegt sich in unbekanntes Gebiet. Doch erst das Risiko setzt Kräfte frei und lässt Neues entstehen. Die raum­greifende Instal­lation «Love matters» von Paula Sansano ist selbst ein schönes Beispiel dafür.

Erschienen anlässlich der Ausstellung

Paula Sansano – Love Matters

Foyer der Dampfzentrale Bern

25. Oktober bis 10. November 2018

dampfzentrale.ch