Die Graphische Sammlung der ETH Zürich bildet das perfekte Setting für die Ausstellung der Konzeptkünstlerin Daniela Keiser, die uns einlädt, die Welt aus einer blauen Perspektive zu erforschen. Ein «blueprint» von grosser ästhetischer Kraft.
Zürich — Was wäre gewesen, wenn vor der Erfindung der Farbfotografie nicht Schwarz-Weiss, sondern Blau unsere Sicht geprägt hätte? Die Farbe des Himmels und des Wassers, des Mondlichts und der Träume? Die Cyanotypie gehörte zu den frühsten fotografischen Verfahren. Berühmt ist das erste Fotobuch der Geschichte, in dem die Botanikerin und Fotopionierin Anna Atkins ihre Algensammlung katalogisierte. Die Fotogramme dieser schwer zu zeichnenden Wasserlebewesen waren nicht nur von naturwissenschaftlichem, sondern auch von ästhetischem Wert. Die Cyanotypie, notabene erfunden von einem Astronomen, scheint von Beginn an verschiedene Sphären vereint zu haben: das Weltall mit den Ozeanen, die Wissenschaft mit der Kunst.
In dieses weite Spektrum ist die Ausstellung von Daniela Keiser (*1963, Neuhausen) eingebettet. Die Künstlerin versammelt darin eigene und gefundene digitale Fotografien, die sie alle als Cyanotypien gedruckt hat. Nicht die Algen sind bei ihr das verbindende Element, sondern, wenn man so will, das Wasser darum herum, das Blau, das sich herauskristallisiert, wenn die Eisenlösung belichtet wird. Die «Blue Links» fliessen nach allen Seiten und zeichnen die mäandrierenden Wege nach, denen Daniela Keiser auf ihren Recherchen gefolgt ist.
Dabei begegnete sie unter anderem der «Blauen Banane», einer Theorie von 1989, die einen Wirtschaftsraum zwischen Manchester und Mailand beschrieb. In einem Bild der NASA wird die gekrümmte Form als Leuchtband sichtbar; in einem anderen blicken wir in einen Lastwagen, der Bananen transportiert. Immer wieder zeigen sich Strukturen, als hätte sich mit den blauen Kristallen auch das Sujet herausgebildet. Türme von Früchten an einem Marktstand, das Innere eines Granatapfels oder Gletscherzungen. Auf einer Wand, die sich wie eine tektonische Platte in den Ausstellungsraum schiebt, setzen sich einzelne Papiere zu riesigen geologischen Flysch- oder Basaltstrukturen zusammen, die Daniela Keiser auf ihren Reisen an die Ränder der «Blauen Banane» aufspürte. Die Werke erzeugen Tiefe, als könnten wir in die Landschaften eintreten. Doch der Raster, der an die Pixel von digitalen Bildern erinnert, bricht den Sog wieder.
Das Netzwerk von Daniela Keiser bleibt beweglich. Es hat viele offenen Enden, die zu weiteren Verbindungen einladen. Begleitet wird die Ausstellung von einem wunderschönen weichen, dicken, aber leichten Katalog, der uns ermöglicht, im Nachgang wieder in die Welt in Blau einzutauchen.
Erschienen anlässlich der Ausstellung
Daniela Keiser – Die Welt in Blau. Cyanotypes
Graphische Sammlung der ETH Zürich
30. März bis 26. Juni 2022
Publiziert in:
Kunstbulletin 6/2022, S. 136/137.
Meret Arnold
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