Das Kunsthaus Baselland zeigt im zweiten Teil der Ausstellung von Clément Cogitore die zwei Videos, für die er den Prix Marcel Duchamp erhalten hat. Beide kreisen um die Verbindung von Bildern und Ritualen. Beim einen werden Identitäten neu verhandelt, beim anderen Vorstellungen zementiert.
Baselland — Noch einmal! Die rhythmische Musik aus Jean-Philippe Rameaus Ballettoper ‹Les Indes galantes› und die ungewohnten Bewegungen der Krump-Tänzerinnen und -Tänzer ziehen uns in ihren Bann. Und wir möchten sie noch einmal sehen: die eindringlichen Gesten, die Mimik, die Mischung aus freien Improvisationen und kurzen Choreografien. Die Szene wirkt wie ein Ritual, ein Tanz nicht für ein Publikum, sondern für die eigene Gemeinschaft. Krump entstand denn auch in den Ghettos von Los Angeles als Versuch, sich eine andere, gewaltlose Identität zu erschaffen. Die Tanzenden erzählen aus ihrer Erfahrung mit Gewalt, stellen sie dar, um sie zu überwinden. «Es ist die gleiche Symbolik, die Rameau Anfang des 18. Jahrhunderts in der Aufführung von indianischen Tänzen in Paris wahrnahm», so Clément Cogitore (*1983). Für sein fünfminütiges Video hat er die 3. Szene von Rameaus Werk auf der Pariser Opernbühne mit lokalen Krump-Tänzern inszeniert. Der französische Künstler und Filmemacher reflektiert Rituale, welche die Entstehung von Bildern und deren Verbreitung begleiten, sehr genau. In ‹Les Indes galantes› nutzt er das Medium Film ebenso wie das rituelle Potenzial des Theaters. Er filmt die Tanzenden aus nächster Nähe und lässt uns so am Geschehen teilhaben. Die transformierende, kathartische Wirkung überträgt sich auf die Gemeinschaft von Tanzenden und Zuschauenden.
Von dieser befreienden Energie sind wir in ‹The Evil Eye›, der zweiten Videoarbeit, weit entfernt. Ihr Grundton ist apokalyptisch. Eine sanfte, weibliche Stimme berichtet in einem prophetischen Brief an ihren Geliebten von einer drohenden Katastrophe. Wer ist sie? Die Frauen selbst, die in Cogitores 15-minütiger Videomontage auftreten, haben keine Stimme, ihre Persönlichkeit und Körperlichkeit verschwindet hinter stereotypen Bildoberflächen. Sie stammen aus Katalogen internationaler Bilddatenbanken wie Getty Images oder Shutterstock. Produziert wurden sie für die Werbung, für politische Kampagnen oder Unternehmensfilme. Anstelle von Namen tragen sie Nummern: Nr. 615462520 «Beautiful redhead girl tossing her long hair», Nr. 466905618 «Frauen vor dem Fernseher». Bar jeglicher Musik oder Text entlarven die Bilder ihre hypnotisierende Wirkung, mit der sie uns verführen wollen. Clément Cogitore setzt sie in Beziehung zur tief in unserem Gedächtnis verankerten Vorstellung der Frau als Ursprung des Bösen. «Der böse Blick ist unter uns» heisst es an einer Stelle. Doch bleibt er ungreifbar. Die Schlange verkriecht sich in einem der unendlich vielen Servern, die unsere massenhaft produzierten Bilder speichern.
Erschienen anlässlich der Ausstellung
Clément Cogitore Part II
Kunsthaus Baselland, Muttenz/Basel
17. Mai bis 7. Juli 2019
Publiziert in:
Kunstbulletin 6/2019, S. 112/113.
Meret Arnold
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