Christine Bänninger – Liquid Olive
Christine Bänninger «Liquid Olive», Detail.

liquid olive. Der Titel liest sich wie ein kurzes Gedicht. Es erzählt von einem flüssigen Zustand, ohne Umriss, aber alle möglichen Formen in sich tragend. Flüssiges Oliv. Eine Farbe in Bewegung. Sie zerfliesst in Linien, mäandert, bildet Becken, läuft aus. Von hellem Gelb über Dunkelgrün bis zu erdig Braun. Sie führt allerlei mit sich. Spuren des zurück­ge­legten Weges. Prägungen und Ab­drücke, die sich einschreiben ins Flussbild.

Christine Bänninger ist Malerin und Performancekünstlerin. Auch das Werk liquid olive ist gleichsam aus öffent­li­chen Performances wie aus dem Atelier her­vorgegangen. Die Abgrenzung der beiden Bereiche ist irrelevant. «Sie ver­schmelzen zunehmend ineinander», sagt die Künstlerin. Egal, ob sie performt oder malt, begibt sie sich in den Raum, in die Farbe, mit ihrem Körper. Dabei ist der Prozess im Atelier genauso wichtig, wie das, was die Performance hervorbringt.

Rückblende: Christine Bänninger steht in einem weissen Kleid vor einem aus­ge­rollten Papierbogen. Sie be­wegt sich nicht, bis sie plötzlich – Splash! – die Farbe aus der Flasche spritzt. Jetzt fasst sie die Ränder des Papiers und neigt es in ver­schiedene Richtungen. «Mich fas­ziniert das Fliessen, zu beobachten, wel­chen Weg die Farbe nimmt. Es ist der Weg des geringsten Widerstands, ein Evo­lu­tions­prinzip wie in der Natur.» Die Künstlerin legt sich auf den Boden und rollt langsam über das Papier, bedruckt und lässt sich bedrucken. Den Farb­ver­lauf schneidet sie aus, richtet ihn auf und ein im Raum. liquid olive hat viele Sta­dien durchlaufen, bis es sich vorüber­gehend zu dieser Form gefügt hat.

Im Januar 2020 führte Christine Bänninger im Kunstraum (ort) in Emmen­brücke ihre erste liquid-Perfor­mance durch. Seither haben sieben wei­tere stattgefunden. Die jüngste im Rah­men von «Bang Bang», der grossen Über­sichtsausstellung zur Schweizer Perfor­mancekunst im Tinguely Museum in Basel. Dort lud sie die Zu­schauer­innen und Zuschauer ausserdem dazu ein, die Farbe gemeinsam aus dem Papier zu schneiden. Ein partizipativer Akt, der an die Aktionen erinnert, die sie seit vielen Jahren im Duo mit Peti Wiskemann veranstaltet.

Die Installation liquid olive im Zimmer­mannhaus besteht aus ungefähr fünf­undsechzig Papierschnitten. Seit ihrer Präsentation in der Alten Fabrik in Rappers­wil Ende 2021 ist das Werk ge­wachsen. Bis übers Eck zieht sich das Oliv, greift aus auf die nächste Wand. Der Linienfluss verwandelt sich in einen vege­ta­tiven Raum. Er verheddert sich zum Gestrüpp, widerborstig und wild wuchernd. Das Fliessen ist ins Wachsen übergegangen, aus dem Formlosen ein sich fortpflanzender Organismus geworden.

Und doch erinnert das Werk in jedem Moment an seine Entstehung. An die Begegnung des Materials mit einem Körper, an Berührungen und gegen­sei­tige Prägung. Die rosa Rückseiten strah­len an den Wänden ab und lassen die Papiere davor schweben. Eine Haut, dünn und verletzlich. «Die Natur formt mich und der Mensch formt die Natur», sagt Christine Bänninger. Die Impulse der ein­zelnen Ereignisse lassen diese Haut bis heute vibrieren. Demgegenüber wirken die Kleider, die sie zu den Per­for­mances trug, wie Zeitmarken: das rosa Hemd, 30.01.2020, (ort), Emmen­brücke; der in gebrochenem Weiss glän­zende Mantel, 15.11.2020, Kunsthaus Aussersihl, Vitrinen Müllerstrasse Zürich.

Später hüllte sich die Künstlerin in weiss grundierte oder ungrundierte Lein­wand. Die Trennung zwischen Malerin und Gemaltem verschwamm noch stärker. Rollend verschmolz sie mit der Farbe, dem Papier. liquid olive. Flüssige Olive. Ich stelle mir einen Olivenbaum wie ein träumendes Bild zwischen den Kirsch- und Apfelbäumen des elterlichen Bauern­hofs vor, auf dem Christine Bänninger aufgewachsen ist. Der nussige, ein wenig bittere Geschmack der hellen, gelb­grünen Olive verbindet sich mit dem Duft von schattigem, erdig feuchtem Oliv des Zürcher Unterlands. Die Frucht öffnet ihre Form und gibt ihren Saft frei. Er fliesst über unsere Zungen, ölt unsere Haut und unser Haar. Oliv ist das Mädchen und der Junge, zwittrig wie der drei­tausend Jahre alte Baum. Für einen Moment ist alles flüssig bis nur noch die Verdrehung des Stamms und die Verzweigungen der Äste daran erinnern.

Erschienen anlässlich der Ausstellung
Christine Bänninger / Angela Anzi – Splash & Vibration
Zimmermannhaus Brugg
20. August bis 2. Oktober 2022
zimmermannhaus.ch

 

Publiziert in:
Saalblatt Zimmermannhaus Brugg
Christine Bänninger / Angela Anzi –
Splash & Vibration
zimmermannhaus.ch