Da ist sie wieder, diese Ironie. Damals, vor rund zwanzig Jahren, lachte sie in sich hinein, als uns Thomas Müllenbach in seiner Zeichnungsausstellung in der Kunsthalle St. Gallen nichts weniger als «Das ganze Leben» zeigte. Jetzt kitzelt sie den Titel seiner ersten Einzelpräsentation bei Sam Scherrer. «Von Adam bis Eva» suggeriert erneut eine weit ausholende Erzählung. Eine, die gar bis zum Ursprung zurückreicht und von A bis Z alles umfasst. Doch der Künstler ist auch im weisen Alter kein Anhänger der grossen Geste. Er richtet seinen Blick auf das, was ihm im Alltag in seiner räumlichen Umgebung und in der Zeitungslektüre begegnet. Die Eindrücke setzen sich ab in kargen Zeichnungen und Aquarellen, aus denen bald die Absurdität, bald die Poesie unserer Welt aufleuchtet.
In der Ausstellung sind rund zwanzig Zeichnungen aus dem Jahr 2022 versammelt. Sie sind alle in diesem Jahr entstanden, wie sich unschwer an den Motiven erkennen lässt. Thomas Müllenbach ist ein Homo Politicus, der die aktuellen Ereignisse nicht ignorieren kann. Der Angriffskrieg auf die Ukraine drückt in zahlreichen Arbeiten durch. Die Darstellungen von Wladimir Putin mit langer Lügennase, welche an anderer Stelle wie ein erschlaffter Schwanz im Gesicht hängt, sind satirische Kommentare. Eine einzelne fallende Granate oder die schemenhaften Gestalten dreier Soldaten wirken einsam und verloren in der unermesslichen Sinnlosigkeit. Der Kopf mit fratzenhaftem Gebiss kippt ins Hässliche.
Dazwischen begegnen wir immer wieder Köpfen von Menschen und Tieren, die so gross sind, dass sie nicht auf dem Blatt Platz finden. Augen schauen über die Ränder hinaus und Ohren horchen an der Oberfläche. Wie nehmen wir die Welt wahr? Was rückt in unseren Fokus? Thomas Müllenbach spielt mit dem Fragment, mit der Bildfläche und ihren Begrenzungen, der Linie und dem Weissraum, um uns über Wahrnehmung nachdenken zu lassen. Er arbeitet nicht schwungvoll, sondern führt seine Hand langsam, ohne selbst gleich zu begreifen, was auf dem Papier entsteht. Hier rücken die Zeichnungen in die Nähe seiner Texte, die nachts bruchstückhaft seine Gedanken bergen. Beide haben etwas von Traumfetzen, in denen die innere und äussere Welt widerhallen.
Die Zeichnungen tragen Titel und sind datiert. Doch als Tagebuch will sie Thomas Müllenbach keinesfalls verstanden wissen. Er betreibt keine Innenschau. Die Zelebrierung der Künstlerseele ist ihm so fremd wie die Zurschaustellung der künstlerischen Könnerschaft. Ein bewusstes Understatement durchzieht sein ganzes Werk. Heroisches oder Genialisches in all seinen Ausdrucksformen ist ihm ein Graus. Das zeigt sich auch in seinem Arbeitsmaterial. Für die Zeichnungen verwendet er Papier aus der Büroabteilung: hochweiss, gestrichen, stabil – jegliche Attitüden und schöngeistige Kultiviertheit abweisend. «Es taugt übrigens auch zum Aquarellieren», bemerkte er beiläufig, wohlwissend, dass diese Aussage ein Raunen in der Runde der Alten Meister und Puristen auslöst.
Dabei ist der Künstler durchaus Traditionalist. Der Ölmalerei und der Zeichnung, beides klassische Gattungen, ist er ein Leben lang treu geblieben. Er kopierte die Gemälde von Alten Meistern wie Vermeer oder El Greco, um das Handwerk zu lernen, praktizierte und unterrichtete über viele Jahre die Königsdisziplin. Heute steht für ihn das Aquarell zuoberst. Die Technik des Fliessenden, Ephemeren, die dem Weissraum die gleiche Bedeutung zuspricht wie der Farbe. In der Ausstellung sind zwei Aquarelle vertreten, die Thomas Müllenbach auf Fallschirmseide und auf die Kunstfaser Trevira gemalt und direkt auf der Wand angebracht hat. Aquarell, das zeigen die zwei Arbeiten geradezu exemplarisch, ist bei ihm nicht nur eine Technik des Feinen, Atmosphärischen, sondern auch des Hässlichen, Versumpften.
So macht bereits der Titel «Weisser Tisch an brauner Sauce» deutlich, dass das Bild keine leicht bekömmliche Kost serviert. Der braune Hintergrund liegt fern einer meteorologischen Erscheinung à la William Turner. Vielmehr steht das Gemisch für die nationalsozialistisch gefärbte Brühe, die Putins langen Kriegstisch formt. Ganz anders das zweite Aquarell: In «Lit Blanc» befreit der Künstler das wässerige Element aus seiner unappetitlichen Verbindung und zerstäubt es in feine luftige Partikel. Aus einem tiefen Blau leuchtet ein weisses Bett. Die Fäden eines gewobenen Teppichs verleihen duftende Farben. Präsentierte Thomas Müllenbach vergangenen Frühling im «Salon de Printemps» bei Sam Scherrer eines seiner Spitalbetten, um die sich technische Apparaturen drängen, öffnet sich dieses Bett zum Himmel. Das Werk oszilliert zwischen Abstraktion und Figuration, weckt die Assoziationen an weisse Nächte und ihre Landschaften, die sich sogleich wieder in der Farbe verlieren.
Kehren wir an den Anfang zurück. «Adam + Eva», eine Serie von Aquarellen aus dem Jahr 2016, hat der Ausstellung zu ihrem Titel verholfen. Thomas Müllenbach, mit einer katholischen Erziehung und einem leidenschaftlichen Interesse für Hominiden ausgestattet, revidiert darin das Bild unserer Ureltern. «Adam und Eva werden immer als neuzeitliche Menschen abgebildet, aber müssten sie im Grunde nicht wie Frühmenschen ausgesehen haben?», fragt der Künstler und lacht verschmitzt. Auf den neun Blättern skizziert er zwei Köpfe, die sich anschauen. Immer wieder. Einmal beobachtend, einmal herausfordernd oder neugierig. Mit einer Ausnahme, in der Eva den Knüppel in der Hand hält, sind die Geschlechter nicht erkennbar, sehr wohl aber die Abstammung von den Affen.
Die Darstellungen sind humorvoll, mit einer Prise Zynismus gewürzt und gleichzeitig stimmen sie nachdenklich. Wir verharren davor wie Jane Goodall im Gebüsch und betrachten uns. Adam und Eva wie wir sie kennen, das wird uns klar, ist nur eine Episode einer viel grösseren Geschichte – doch die müssen andere erzählen.
Publiziert in:
Thomas Müllenbach – Von Adam bis Eva
Ausstellungskatalog
sam scherrer contemporary, Zürich, 2023
samscherrer.ch
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