Der ameri­kanische Künstler und Kom­ponist Arnold Dreyblatt (*1953 New York) lebt seit 1984 in Deutsch­land und lehrt Medien­kunst an der Muthesius Kunst­hoch­schule in Kiel. In der République Géniale zeigt er «Protocols of the Future», eine sze­nische Lesung der Gründungs­proto­kolle der Free Inter­national University, einer Ini­tiative von Joseph Beuys, Klaus Staeck, Heinrich Böll, Georg Meistermann und Willi Bongart aus den 1970er Jahren. Meret Arnold hat im Vorfeld mit Arnold Dreyblatt gesprochen.

Meret Arnold: Du reani­mierst in «Protocols of the Future» das Gedanken­gut der Free Inter­national University. Was inte­res­siert dich an der FIU?

Arnold Dreyblatt: Mein Interesse an der FIU geht zurück auf meine lang­jährige Beschäf­tigung mit dem Black Mountain College. Mich interes­sieren alter­native Ini­tiat­iven in der Kunst­aus­bildung, auch weil ich selber unter­richte. Es stellen sich immer wieder die gleichen Fragen: Kann man Kunst überhaupt lehren? Was für eine Insti­tution soll eine Kunst­akademie sein?

Meret Arnold: Wie kamst du zu den Proto­kollen des Träger­vereins der FIU?

Arnold Dreyblatt: Bei einem Besuch des Heinrich-Böll-Archivs in Köln entdeckte ich das Mani­fest zur FIU. Ich war sehr erstaunt, dass Böll das verfasst hatte. Und wenig später kam ich ins Gespräch mit Klaus Staeck, der mir darauf die bisher unver­öf­fent­lichten Kopien der Original­proto­kolle aus seinem persönlichen Archiv schickte. Da fing die Arbeit an.

Meret Arnold: Du hast aus den Proto­kollen ein Skript verfasst. Wie bist du dabei vorge­gangen?

Arnold Dreyblatt: Die Sitzungen sind als Dreh­buch interessant. Deshalb blieben wir möglichst nah am Text. Wir wählten die wichtigsten Sitzungen aus und schrieben diese in die Ich-Form um. Ausserdem haben wir eine Erzähl­stimme eingeführt, welche die büro­kra­tischen Stellen liest oder Dis­kussionen zusammen­fasst.

Meret Arnold: Die Teil­nehmer dieser Sitzungen waren haupt­sächlich männlich. In deiner Ins­zenierung werden abge­sehen von der Erzähl­stimme alle Texte von Schau­spieler­innen gelesen. Willst du damit eine kritische Distanz aufbauen?

Arnold Dreyblatt: Ja, es geht um Ver­fremdung, aber auch um einen Kommentar. Die Ini­tia­toren hatten grosse (männliche) Egos. Eva Beuys, die Frau von Joseph Beuys, spricht insge­samt nur etwa zwei Sätze. In der Lesung wechseln die Schau­spiele­rinnen die Rollen immer wieder, und jede liest sicher einmal Beuys. [Lacht] Ich bin gespannt was passiert, wenn Frauen diese Texte lesen.

Meret Arnold: Gerade auch, weil die Sprache eher schwer ist…

Arnold Dreyblatt: Ja genau. Es sind Prokla­mationen, Manifesta­tionen. Die sind sich alle so sicher! Erst gegen Schluss taucht Rudi Dutschke auf, der sagt: Ich weiss noch nicht, was ich finden soll. Bei den anderen kommt diese Unsicherheit gar nie auf. Und trotzdem wurde die Idee nicht umgesetzt. Klaus Staeck und Heinrich Böll waren irgend­wann ziemlich frustriert, weil die Diskussion endlos weiter­zu­gehen schien, ohne konkret zu werden. Staeck fand sogar ein Gebäude, aber Beuys war nicht daran inte­ressiert.

Meret Arnold: Es blieb Utopie.

Arnold Dreyblatt: Ja, aber auch wenn es historisches Material ist, das eine Utopie beschreibt, wollte ich das Gewicht auf die Zukunft legen. Zwischen den vielen auf­geblasenen Worten finden sich radikale, revo­lutionäre Gedanken. Und immer diese Span­nung: Was wollen wir?

Meret Arnold: Zur szenischen Lesung gibt es eine Text­instal­lation. Was zeigst du da?

Arnold Dreyblatt: Ich habe mich gefragt, was ich für Asso­zia­tionen zu dem Projekt habe und wie ich diese visuell umsetze. Da es um politische Fragen geht, haben wir uns für Plakate entschieden, die wir auf der Plattform verteilen. Sie enthalten neon­farbige Zitate aus dem Manifest und den Proto­kollen. Wir haben Begriffe und Sätze ausgewählt, bei denen wir auch heute finden: Das brauchen wir!

Meret Arnold: Werden die «Protocols of the Future» Protokolle für die Zukunft?

Arnold Dreyblatt: In meinen Instal­lationen und perfor­mativen Arbeiten mit Archi­valien geht es mir darum, die schlum­mernden Daten zu visua­lisieren oder erklingen zu lassen und dabei in neue Zusam­menhänge zu überführen. Ich gebe ihnen ein anderes Leben und schaue, was passiert. Dabei kollidieren Fragmente, Sinn und Zeiten – das finde ich unglaub­lich wichtig.

Kollisionen von Sinn und Zeit.
Interview mit Arnold Dreyblatt

République Géniale
«Protocols of the Future»
Teil I, Freitag, 12. Oktober, 16.30 Uhr,
Teil II, Samstag, 13. Oktober, 12 Uhr
Ort: Poïpoïdrom
dreyblatt.net
 
Publiziert in:
blog.kunstmuseumbern.ch
11. Oktober 2018

Kollisionen von Sinn und Zeit.
Interview mit Arnold Dreyblatt

République Géniale
«Protocols of the Future»
Teil I, Freitag, 12. Oktober, 16.30 Uhr, Poïpoïdrom
Teil II, Samstag, 13. Oktober, 12 Uhr, Poïpoïdrom
dreyblatt.net

Publiziert in:
blog.kunstmuseumbern.ch
11. Oktober 2018

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