Olten — Die Farben flirren, zersplittern, verschwimmen. Wir erahnen ein dichtes Blätterdach, Farngewächse, ein Getreidefeld. Sehen wir eine verpixelte Fotografie? Weit gefehlt. ‹Projection Series› heisst die neue Arbeit von Philipp Schaerer (*1972, Zürich), in der er in einer 3D-Umgebung am Computer Fotografien in Lichttexturen umwandelte und auf ein feingliedriges Raster von über zehntausend quadratischen, unterschiedlich geneigten, spiegelnden Oberflächen projizierte. Die Serie steht im Zentrum von ‹Dissected Nature›, der ersten institutionellen Einzelausstellung des Künstlers, dessen Werke sich bereits international in renommierten Sammlungen befinden. Das Kunstmuseum Olten ist bekannt für seine disziplinübergreifenden Projekte. Mit Philipp Schaerer zeigt es einen digitalen Tüftler, der in der Architektur begann und sich mit computergenerierten Visualisierungen bei Herzog & de Meuron einen Namen machte. In der Architektur, aber auch in zahlreichen anderen Bereichen, werden heute digital entworfene Bilder eingesetzt, die sich kaum mehr von einer Fotografie unterscheiden lassen. Philipp Schaerers Kunst setzt an dieser Schnittstelle an. Er schafft experimentelle Werke, die sich von der Fotografie beziehungsweise ihrer fotorealistischen Ästhetik emanzipieren.

In ‹Dissected Nature› treten nicht Gebäude, sondern organische Pflanzen in ein Spannungsfeld mit der digitalen Bildtechnologie. Die frisch vom Rechner ausgegebenen ‹Topologies – Natural Fragments› wirken von Weitem wie weiche, japanische Drucke; aus der Nähe zeigen sich die harten Linien, aus denen der Künstler eine vegetative Landschaft geformt hat. In der Serie ‹Claire de Lune›, 2022 hat er das Gerüst mit Textur versehen und die Blätter in blaues, träumendes Mondlicht getaucht. Bewusst knüpft Philipp Schaerer an die Kunstgeschichte an, sei es an den Bildaufbau der Pointilisten, die Momentaufnahmen der Impressionisten oder ein Dschungelgemälde von Jean-Jacques Rousseau. In ‹Nature Morte›, 2010–11, greift er Karl Blossfeldts typologische Pflanzenfotografien auf, um ihnen in pseudo-dokumentarischer Ästhetik fiktive Gewächse gegenüberzustellen. Zu Zeiten Blossfeldts war die Auseinandersetzung mit der Fotografie in vollem Gange. Hundert Jahre später fordert uns das computergenerierte Bild heraus. ‹Dissected Nature› lädt ein, das unsichere Terrain zwischen virtueller und physischer Welt zu betreten und das neue Medium kritisch zu hinterfragen.

Hinweis zur Ausstellung «Dissected Nature» von Philipp Schaerer im
Kunstmuseum Olten,
4. September bis 6. November 2022

kunstmuseumolten.ch

Publiziert in:
Kunstbulletin 10/2022, S. 75
artlog.net

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