Die République Géniale umfasst mehrere Räume, die immer wieder anders genutzt und bespielt werden. Es entstehen wechselnde Konstel­la­tionen aus Menschen, Themen, Formen, die uner­wartete Situa­tionen und Erfah­rungen erzeugen. Letzten Freitag bege­gneten sich Musik und Architektur. Ein Erleb­nis­bericht von Meret Arnold.

Es ist der 28. Sep­tember, Frei­tag­nachmit­tag in der République Géniale. Auf der Platt­form ist eine Gruppe von Archi­tek­tur­studierenden und Dozierenden der Berner Fach­hoch­schule versam­melt. Sie haben einen Kreis gebildet und disku­tieren zum Thema Bauen in den Alpen. Um sie herum sind auf kleinen Tapezier­tischen Modelle platziert, an den Wänden des Poïpoïdroms hängen Karten, Bilder und Pläne. Plötzlich ertönt der Klang eines Akkor­deons aus einem der benach­barten Räume. Leise und langsam geht ein Akkord in den nächsten über, so als würde der Klang einem Weg folgen.

Im Studiolo 1 sitzt die Musik­studentin Ursina Makiol ganz alleine auf einem Stuhl, ihr Akkor­deon in den Händen, vor sich einen Noten­ständer. Sie ist an diesem Nach­mittag in die République Géniale gekommen, um zu üben. «re*hear*se – practice! practice! practice!» heisst ein Modul der Hoch­schule der Künste Bern, das im Rahmen von Teaching & Learning der République Géniale angeboten wird. Erfuhr man das Studiolo 1 vor einer Woche noch als Regen­wald – in der Klang­instal­lation «Rainforest IV» von David Tudor mit Objekten vom Schrott­platz – erfüllt nun der Klang des Akkor­deons den Raum. Die Musik dringt bis ins Poïpoïdrom. Für eine Weile gehen Musik und Architektur nebeneinander her.

Vielleicht hat Robert Filliou das gemeint, als er alle einlud, sich in der République Géniale ihr eigenes Terri­torium zu erschaffen. Mit der Musik der Akkor­deon­spielerin und dem Gespräch der angehenden Architek­t*innen treffen zwei Ereignisse in einem Raum zusammen und durchd­ringen sich, ohne sich aneinander anzupassen. Sie behalten ihre Eigen­ständig­keit.

Auf der Platt­form setzt sich derweil das Gespräch ungebrochen fort. Die Stu­dierenden reden anhand von Meiringen und Brienz über individuelle und stereotype Bilder zum Bauen in den Alpen, über lokale Typo­logien sowie über Mate­rialien und zur Konstruk­tions­weisen. In den nächsten Wochen werden sie aus ihren Analysen ein archi­tek­tonisches Projekt entwickeln, das sie in Modellen und Plänen visua­lisieren.

Auch die Partitur, die von Ursina Makiol auf dem Noten­ständer liegt, könnte ein Bauplan sein. Das Stück «Hexagon» des US-ameri­kanischen Kompo­nisten Tom Johnson (*1939) ist nicht in der herk­ömmlichen Noten­schrift verfasst, sondern besteht aus mehreren aneinander­gefügten Sechs­ecken. Die Zahlen an den Ecken geben Töne der chro­ma­tischen Ton­leiter wieder. Die Zeich­nung ist ähnlich einem Plan Anleitung und Bild zugleich.

Die Diskussion im Poïpoïdrom dreht sich nun um das Verhältnis der Konstruk­tions­weise zur Ästhetik von Bauten beziehungs­weise zum vermittelten Bild der Architektur. Was sind die typo­logischen Eigen­schaften von Holz- und Stein­bauten und darf die Gebäude­hülle eine bestimmte Konstruk­tion vortäuschen? Verbind­liche Regeln erhalten die Studierenden nicht.

4, 11, 16 — 4, 11, 15 — 4, 12, 15 — 4, 12, 14 — 5, 12, 14… Die Musik­studentin folgt den Linien der Par­titur von Akkord zu Akkord. Bei jeder Ver­zweigung muss sie aufs Neue ent­schei­den, wo sie weiter­geht. «Begin with the central chord (4, 11, 16). Following the lines, move to adjacent chords, always sustaining two voices and moving the third voice. Move slowly, carefully, until each of the 63 chords has been played at least once, returning finally to (4, 11, 16).» So klar die Spiel­regeln auch sind, so viel­fältig können die Inter­pre­tationen sein.

Ursina Makiol packt ihr Akkor­deon ein und verlässt die République Géniale beinahe unbe­merkt. Das Studiolo 1 ist wieder leer, das Gespräch über Archi­tektur geht alleine weiter.

Als Besucherin konnte ich die Begeg­nung der zwei Ereig­nisse mit­erleben. Diese sinnliche Erfahrung hat bei mir Gedanken ausgelöst, auf die ich mich im Vorfeld des Besuchs nicht im Geringsten eingestellt hatte. Es sind diese unvorher­gesehenen, feinen Momente, in denen sich mir die République Géniale aber am Klarsten und am Schönsten zeigt.

Musik­studierende sind im Rahmen von «re*hear*se – practice! practice! practice!» regelmässig in der République Géniale zu Gast: für die Daten siehe republiquegeniale.ch

Die Archi­tektur­studierenden kommen noch einmal am 17.10. und am 7.11. in die République Géniale.

Ungeplante Begegnungen: Pläne und Partituren

République Géniale
«re*hear*se – practice! practice! practice!»
(Studierende HKB/MA Music Performance)
Ursina Makiol –Akkordeon
Bauen in den Alpen: Klima und Territorium
(BFH AHB Atelier Master Architektur HS 18)
republiquegeniale.ch

Publiziert in:
blog.kunstmuseumbern.ch
5. Oktober 2018

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