Die Ausstellung «Grösser als Zürich» bildet im Helmhaus das produktive Neben­einan­der in Zürich Aussersihl ab.
Beim Besuch der Ausstellung «Grösser als Zürich. Kunst in Aussersihl» im Helm­haus kommt einem schnell einmal Hugo Lötschers Charak­teri­sierung Zürichs in den Sinn: da die saubere Limmat mit ihren Zunft­häusern, dort die schmutzige Sihl, hinter der das Arbeiter­quartier Aussersihl begann. «Jenseits dieses Flusses», schreibt Lötscher, «war einst einge­richtet und angelegt worden, was nicht ins puri­tanische Bild der Stadt gepasst hatte: Das Siechen­haus, der katholische Fried­hof, der Schlacht­hof oder die Hin­richtungs­stätte. Hier lebten von jeher Klein­bürger und Proleten». Immi­granten, das Rot­licht- und Drogen­milieu sowie jüngst das Partyvolk sind hinzugekommen. Der Arbeits­losen- und Ausländer­anteil ist in diesem Stadt­teil am höchsten: hundert Nationen, inklusive Schweiz, leben hier zusammen. Die sozio-kulturelle Mischung scheint indes den Boden zu be­reiten, der die Kreativität spriessen lässt: Es ist auch der Kreis mit der grössten Dichte an Kunst- und Kultur­schaffenden.

Diese andere, kreative Seite des Quar­tiers sichtbar zu machen, ist schon seit Längerem das Anliegen von Silvio R. Baviera, Künstler, Schrift­steller und einer der ersten Galeristen im Kreis 4. 2008 initiierte er deshalb die Aus­stel­lungs­serie «Kult Zürich Ausser Sihl», die nun in vergrösserter Form im Helm­haus zu sehen ist. Mehr als 300 Künstlerinnen und Künstler unterschiedlicher Genera­tionen sind beteiligt. Die Werke gehen zurück bis ins Jahr 1918 zur Künstler­familie Gubler und enden in der Gegen­wart bei Till Veltens Gespräch mit einer Sozial­arbeiterin aus dem Kreis 4. Ge­mäl­de, Zeichnungen, Drucke und Foto­gra­fien füllen die Wände von Boden bis Decke, Skulp­turen und Videos besetzen die Räume. Erdrückend ist das erstaun­licher­weise nicht. Im Gegenteil: das dichte Nebeneinander unterschied­lich­ster Stimmen überträgt die Viel­fältigkeit und Lebendig­keit des Quartiers.

Doch die Frage nach der Zukunft drängt sich auf. Die in der Ausstellung ge­zeig­ten Archi­tektur­modelle weisen auf die fort­schreitende Stadt­ent­wicklung hin, die von vielen als Bedrohung wahr­gen­om­men wird. Wohin sie führt, lässt sich nicht abschätzen. In Anbe­tracht des reichen Begleit­programms darf man optimistisch sein. Es finden Konzerte, Performances und Lesungen statt, Dis­kus­sionen wer­den veranstaltet und Filme gezeigt. Dieser festival­artige Charakter lässt die Aus­stellung nicht als Schluss­punkt eines Prozesses erscheinen, son­dern als Moment­aufnahme eines Quar­tiers, das sich nicht zum ersten Mal verändert.
Saubere Limmat, schmutzige Sihl
Helmhaus Zürich
24. Februar bis 22. April 2012

Publiziert in:
artline>Kunstmagazin, 4/2012, S. 12.
magazin.artline.org
23. März 2012

Schreiben Sie einen Kommentar

Ihre E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert