Die Nadel durchbohrt den kleinen Kör­per des Schmetterlings. Die rot-schwar­zen Flügel sind weit gespreizt, als würde er sich vor dem Todesfall noch einmal aufbäumen. Seine geschwun­ge­nen Füh­ler strecken sich nach dem Nektar der goldenen Blütenkugel, die vor ihm leuch­tet wie eine Sonne. Der Stiel der Crespida, dem Trommelstock, verglüht in der Unschärfe. Trommelwirbel. Der Himmel färbt sich blutrot. Dann fällt der Vorhang.

Was sich liest wie die tragische Schlussszene einer Oper, ist die Be­schrei­bung einer neuen Arbeit von Teresa Chen. Der sterbende Schmetter­ling erinnert an Puccinis «Madame Butterfly», mit der sich die Künstlerin in einem früheren Werk auseinander­setzte. Hier nun entfaltet sich die Dramatik aus subtil komponierten Stillleben. Die Szenen schillern in ihrer Ambivalenz zwischen Schönheit und Tod, Schutz und Zerstörung, Liebe und Gewalt. Ihre Protagonisten und Protagonistinnen sind Blumen und Insekten, doch das Drama ist eines der Menschheit.

«Nature Morte» nennt Teresa Chen ihre Ausstellung bei Sam Scherrer und ihre neuste Serie, zu der auch die eingangs beschriebene Fotografie gehört. Die Künstlerin, die sonst immer mit eng­lischen Titeln arbeitet, wählte bewusst den französischen Ausdruck für Still­leben. Sie legt damit den Fokus auf die wörtliche Über­setzung, die weder be­schönigt noch überhöht. Der durch­bohrte Schmetter­ling wirkt nicht mehr als Symbol für Auferstehung; die ge­trockneten Blumen führen uns keine Vergänglichkeit mehr vor. Die Natur ist tot, aber – und das irritiert – sie ist unbeschädigt. Kein Beinchen oder Fühler ist geknickt, kein Flügel ein­ge­rissen. Die wohlerhaltenen und gleich­sam leblosen Wesen verharren in einem zeitlosen Zustand.

In diesem hochästhetischen Setting scheint es, als würden die Tierchen für uns posieren, als Objekte der Begierde, als verlockende Trophäen für unsere Sammlung. Teresa Chen zieht alle Register der fotografischen Insze­nie­rung. Das Blitzlicht lässt den einen Schmetterling golden erstrahlen wie ein Schmuckstück; dem anderen verschafft es eine weiss-violette Aureole an den Flügelrändern. Die schimmernde Heu­schrecke hingegen spottet unserem Auge und verschwindet in der Mimikry mit dem blattlosen Stängel; im Zauber der glitzernden Löwen­zahn­samen blinken die Streifen zweier langen Fühler. Es weht ein Hauch von Exotik durch diese Serie und lässt die niederländischen Stillleben aus dem 17. Jahr­hundert anklingen, welche die schöne Er­schei­nung der Dinge verehrten.

Doch Teresa Chen ist keine Schmetter­lings­jägerin. Sie entnimmt ihre Objekte Insektenschubladen, die in der Ento­mologischen Sammlung der ETH Zürich drei Stockwerke unter Boden lagern. Im Werk «Curious Cabinets» von 2019 konnten wir diese Schaukästen mit ihren aufgereihten Insektenparaden sehen. Nun benutzt die Künstlerin originale, aussortierte Schubladen, um darin Foto­grafien zu präsentieren, die das Augen­merk auf den Akt des Aufspiessens richten. «Pierced» nennt sie die Serie, in der wir auf eine Hummel blicken oder einen Falter, der umgekehrt auf roten Samt gepinnt ist. Wir sehen genau, wie die Nadel in den Körper hinein- und wieder hinausführt. Trotz­dem geht es nicht lediglich darum, die Gewalt auszustellen. Schliesslich wurden die Nadeln nicht dazu benutzt, die Tiere zu töten, sondern um sie aufzu­bewahren und zu erforschen. Und das kommt letzten Endes dem Schutz ihrer Arten und Lebensräume zugute.

Teresa Chen mag diese Ambivalenz und die Irritationen, die ungewohnte Pers­pek­tiven auslösen. Sie nutzt die Mittel der Fotografie, um mit Bildausschnitt und Massstab zu spielen, mit Be­leuch­tung, Schärfe und Unschärfe. In «Tumultous» zeigt sie die welkende Blüte einer Tulpe aus einer noch nie ge­sehe­nen Nah­an­sicht. Das klassische Vanitas-Motiv kippt ins Groteske: in drama­ti­scher Über­steigerung kämpft die auf­ge­bäumte, verzerrte Blüte gegen die eigene Vergäng­lich­keit an. In «Illusive» setzt die Künstlerin das Zoomobjektiv ein, um den Raum und die Grössenverhältnisse zu verunklären. Wir glauben auf Insek­ten zu schauen, die in Blütenkelchen am Nektar saugen. Doch wie der Titel be­sagt, ist das Setting trügerisch und schwer fassbar. Erst auf den zweiten Blick begreifen wir, dass präparierte Tiere fotografierten Blumen aufsitzen.

Es liegt eine gewisse Perversität in der Manipulation der hilflosen, toten Kreaturen: ihre zurechtgemachten Körper, ihre Platzierung im Nektar, im Anflug auf die Blume. Und zugleich beschleicht uns das unangenehme Gefühl, dass wir bei der Betrachtung von Teresa Chens Arbeiten in den eigenen Spiegel blicken. Ihre Aus­stellung «Nature Morte» konfrontiert uns mit sehr zeit­genössischen Vanitas-Stillleben. Die Vergänglichkeit zeigt sich hier nicht im natürlichen Lauf der Dinge von Ent­stehen und Vergehen, sondern in unserer aktiven Zerstörung des öko­lo­gischen Gleichgewichts. Dass die ver­schie­denen Lebewesen mit einer Nadel miteinander verbunden sind, liest sich wie eine Allegorie auf diesen ges­tör­ten Zusammenhalt. Das nächste Mal, wenn sich der Vorhang öffnet, werden Menschen auftreten, die mit Pinseln jede einzelne Blüte bestäuben – und es wird keine dramatische Übertreibung sein.

Teresa Chen – Nature Morte

Teresa Chen – «Nature Morte»
sam scherrer contemporary, Zürich
1. bis 17. September 2022

samscherrer.ch

Publiziert in:
Teresa Chen – Nature Morte
Ausst.-Kat., Zürich: Sam Scherrer Contemporary, 2022.

→ pdf

Schreiben Sie einen Kommentar

Ihre E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert