Der US-amerikanische Tänzer und Choreograf Trajal Harrell ist einer von acht Hausregisseuren und Hausregisseurinnen am Schauspielhaus Zürich. Er bewegt sich aber auch gerne im Museum. Im März ist er mit zwei Tanzstücken und einer performativen Installation in der Kunsthalle Zürich zu Gast.
Es ist der 17. Januar 2022 im Schauspielhaus Zürich. Auf dem Programm steht ‹The Köln Concert›. Ich sehe Trajal Harrell aufrecht am Bühnenrand stehen, während das Publikum in den Saal strömt, die Leute ihre Plätze suchen, rutschen, rascheln, tippen, schwatzen. Unbeirrt fährt er mit seinen Augen die Reihen ab, nickt da und dort jemandem zu, lächelt. Mit seiner Präsenz und Aufmerksamkeit begrüsst er schweigend seine Gäste für diesen Abend. Die Geste ist warmherzig und fein, doch sie betont nichtsdestoweniger eindringlich: Wir sind gemeinsam hier im Raum, jetzt, in diesem Moment.
Der Tanz zu Keith Jarretts legendären Improvisation in der Kölner Oper 1975 wirkt im räumlichen Kontext des traditionellen Sprechtheaters wie eine Rückbesinnung auf den Körper als elementares Ausdrucksmittel. Bis auf ein paar Klavierstühle ist die Bühne leer, als müsste sie Raum schaffen, um all das zu fassen, was auf ihr heraufbeschworen wird. Und das ist bei Trajal Harrell nie wenig. Aus der Tanzgeschichte fliessen Bewegungen aus dem Modern Dance, dem Postmodernen Tanz und Butoh ein.
Die Zerbrechlichkeit des Seins
Sein Interesse richtet sich darüber hinaus auf performative Phänomene wie Modeschauen oder Voguing. Letzteres entwickelte sich ab den späten 1960er-Jahren in den Nachtklubs von Harlem, in denen Menschen aus einer meist queeren, afro- oder lateinamerikanischen Gemeinschaft tanzend andere Identitäten annahmen und parodierten. Zu sehen war dies exemplarisch in seinem Stück ‹Monkey off My Back or the Cat’s Meow› im Schiffbau Zürich. Das Publikum sass um einen riesigen Laufsteg, auf dem getanzt wurde.
Doch auch wenn Trajal Harrell die Welt des schönen Scheins zitiert, sind seine Arbeiten keine Feiern des Glamourösen, sondern bewegen sich immer nahe am Abgrund. In ‹Monkey off My Back or the Cat’s Meow› droht das Spektakel ins Absurde zu kippen, dann in Verzweiflung, als eine Schauspielerin die amerikanische Unabhängigkeitserklärung liest, schliesslich in Trauer, als der Laufsteg in der Dunkelheit versinkt. ‹The Köln Concert› hingegen erscheint von Anfang an zerbrechlich. Hier sind Einflüsse des japanischen Tanzes Butoh zu spüren, der sich in den 1950er-Jahren in Japan entwickelte. «Tanz wird häufig als das pure Leben betrachtet, als eine Verkörperung von Leben, Kraft und Schönheit», sagt Trajal Harrell im Programmheft. «Im Butoh hingegen gibt es einen Körper des Todes und des Verfalls, es geht auch um Schwäche und Krankheit.»
Mit dem Tod bringt der Choreograf ein Thema ein, das in unserer auf Jugendwahn und Körperkult getrimmten Gesellschaft wenig präsent ist. Als Trajal Harrell 2008 die Auszeichnung «Dancer of the Year» der Zeitschrift «Tanz» erhielt, löste das bei ihm eine Reihe von Fragen nach der Bedeutung, dem Wert und dem Vermächtnis von Tanz aus. Daraus entstand das Solo ‹Dancer of the Year›, welches nun im März in der Kunsthalle Zürich aufgeführt wird.
Trajal Harrell, der die Kooperation initiierte, hat schon oft im Kontext der bildenden Kunst gearbeitet und «ausgestellt». Im Löwenbräu wird die Nachbarschaft zum Kunsthandel für seine Wahrnehmung interessant sein. Denn dem Solo zur Seite gestellt ist das Werk ‹Dancer of the Year Shop #4›, ein Laden, der zu den normalen Öffnungszeiten besucht werden kann. Darin bieten der Tänzer oder Mitglieder des Ensembles Gegenstände zum Verkauf an. «Es sind Dinge, die für mich einen starken emotionalen Wert haben», sagt Trajal Harrell im Gespräch mit Kunsthalle-Direktor Daniel Baumann. «Dinge, die ich nur deshalb aufgeben würde, weil sie, wenn ich sie als Kunst verkaufte, ein längeres Leben haben würden». Aber wer würde sich getrauen, eines seiner Erbstück zu kaufen, beispielsweise den Quilt seiner Vorfahren, die noch ein Dasein als Sklaven fristeten? Die performative Installation wird wohl nicht der Vermarktung dienen, sondern eher die Frage aufwerfen, wie man zu einem Werk vordringen kann, das in seinem Wesen vergänglich ist.
Im tanzenden Körper lebendig bleiben
Die Unwiederbringlichkeit der Zeit ist auch Thema des zweiten Stücks, das die Tanzkompanie in der Kunsthalle zur Uraufführung bringt. ‹Deathbed› dreht sich um den Zeitpunkt im Jahr 2006, als Trajal Harrell in New York Katherine Dunham (1909- 2006) an ihrem Sterbebett begegnete. Die afroamerikanische Choreografin, Tänzerin, Anthropologin und Aktivistin schuf aus der Verbindung von afrikanischen und karibischen Tanzritualen mit Modern Dance eine neue Ausdrucksform und brachte sie auf internationale Bühnen. Mit dem Erfinder des Butoh, Tatsumi Hijikata (1928-1986), teilte sie ein Studio, noch bevor dieser das erste Butoh-Stück schuf. Hatten Katherine Dunhams Recherchen die Entwicklung von Butoh gar beeinflusst?
Trajal Harrell war damals zu jung, um die Fragen zu stellen, die ihm Jahre später auf der Zunge brannten. Nun ist es zu spät. «‹Deathbed› dreht sich um die Lücken in der Geschichte», sagt er. «Wie fühlt und wie füllt man eine Lücke, die nicht geschlossen werden kann? Wie gehen wir mit dieser Tatsache um? Wir können nie dorthin gelangen, und das schafft eine Spannung. Wir müssen gemeinsam im Raum sein und versuchen, herauszufinden, wie wir aus diesem Dilemma mit der Zeit herauskommen. Und das ist der Moment, wo Tanz für mich stattfindet.»
Der Tanz zu Keith Jarretts legendären Improvisation in der Kölner Oper 1975 wirkt im räumlichen Kontext des traditionellen Sprechtheaters wie eine Rückbesinnung auf den Körper als elementares Ausdrucksmittel. Bis auf ein paar Klavierstühle ist die Bühne leer, als müsste sie Raum schaffen, um all das zu fassen, was auf ihr heraufbeschworen wird. Und das ist bei Trajal Harrell nie wenig. Aus der Tanzgeschichte fliessen Bewegungen aus dem Modern Dance, dem Postmodernen Tanz und Butoh ein.
Die Zerbrechlichkeit des Seins
Sein Interesse richtet sich darüber hinaus auf performative Phänomene wie Modeschauen oder Voguing. Letzteres entwickelte sich ab den späten 1960er-Jahren in den Nachtklubs von Harlem, in denen Menschen aus einer meist queeren, afro- oder lateinamerikanischen Gemeinschaft tanzend andere Identitäten annahmen und parodierten. Zu sehen war dies exemplarisch in seinem Stück ‹Monkey off My Back or the Cat’s Meow› im Schiffbau Zürich. Das Publikum sass um einen riesigen Laufsteg, auf dem getanzt wurde.
Doch auch wenn Trajal Harrell die Welt des schönen Scheins zitiert, sind seine Arbeiten keine Feiern des Glamourösen, sondern bewegen sich immer nahe am Abgrund. In ‹Monkey off My Back or the Cat’s Meow› droht das Spektakel ins Absurde zu kippen, dann in Verzweiflung, als eine Schauspielerin die amerikanische Unabhängigkeitserklärung liest, schliesslich in Trauer, als der Laufsteg in der Dunkelheit versinkt. ‹The Köln Concert› hingegen erscheint von Anfang an zerbrechlich. Hier sind Einflüsse des japanischen Tanzes Butoh zu spüren, der sich in den 1950er-Jahren in Japan entwickelte. «Tanz wird häufig als das pure Leben betrachtet, als eine Verkörperung von Leben, Kraft und Schönheit», sagt Trajal Harrell im Programmheft. «Im Butoh hingegen gibt es einen Körper des Todes und des Verfalls, es geht auch um Schwäche und Krankheit.»
Mit dem Tod bringt der Choreograf ein Thema ein, das in unserer auf Jugendwahn und Körperkult getrimmten Gesellschaft wenig präsent ist. Als Trajal Harrell 2008 die Auszeichnung «Dancer of the Year» der Zeitschrift «Tanz» erhielt, löste das bei ihm eine Reihe von Fragen nach der Bedeutung, dem Wert und dem Vermächtnis von Tanz aus. Daraus entstand das Solo ‹Dancer of the Year›, welches nun im März in der Kunsthalle Zürich aufgeführt wird.
Trajal Harrell, der die Kooperation initiierte, hat schon oft im Kontext der bildenden Kunst gearbeitet und «ausgestellt». Im Löwenbräu wird die Nachbarschaft zum Kunsthandel für seine Wahrnehmung interessant sein. Denn dem Solo zur Seite gestellt ist das Werk ‹Dancer of the Year Shop #4›, ein Laden, der zu den normalen Öffnungszeiten besucht werden kann. Darin bieten der Tänzer oder Mitglieder des Ensembles Gegenstände zum Verkauf an. «Es sind Dinge, die für mich einen starken emotionalen Wert haben», sagt Trajal Harrell im Gespräch mit Kunsthalle-Direktor Daniel Baumann. «Dinge, die ich nur deshalb aufgeben würde, weil sie, wenn ich sie als Kunst verkaufte, ein längeres Leben haben würden». Aber wer würde sich getrauen, eines seiner Erbstück zu kaufen, beispielsweise den Quilt seiner Vorfahren, die noch ein Dasein als Sklaven fristeten? Die performative Installation wird wohl nicht der Vermarktung dienen, sondern eher die Frage aufwerfen, wie man zu einem Werk vordringen kann, das in seinem Wesen vergänglich ist.
Im tanzenden Körper lebendig bleiben
Die Unwiederbringlichkeit der Zeit ist auch Thema des zweiten Stücks, das die Tanzkompanie in der Kunsthalle zur Uraufführung bringt. ‹Deathbed› dreht sich um den Zeitpunkt im Jahr 2006, als Trajal Harrell in New York Katherine Dunham (1909- 2006) an ihrem Sterbebett begegnete. Die afroamerikanische Choreografin, Tänzerin, Anthropologin und Aktivistin schuf aus der Verbindung von afrikanischen und karibischen Tanzritualen mit Modern Dance eine neue Ausdrucksform und brachte sie auf internationale Bühnen. Mit dem Erfinder des Butoh, Tatsumi Hijikata (1928-1986), teilte sie ein Studio, noch bevor dieser das erste Butoh-Stück schuf. Hatten Katherine Dunhams Recherchen die Entwicklung von Butoh gar beeinflusst?
Trajal Harrell war damals zu jung, um die Fragen zu stellen, die ihm Jahre später auf der Zunge brannten. Nun ist es zu spät. «‹Deathbed› dreht sich um die Lücken in der Geschichte», sagt er. «Wie fühlt und wie füllt man eine Lücke, die nicht geschlossen werden kann? Wie gehen wir mit dieser Tatsache um? Wir können nie dorthin gelangen, und das schafft eine Spannung. Wir müssen gemeinsam im Raum sein und versuchen, herauszufinden, wie wir aus diesem Dilemma mit der Zeit herauskommen. Und das ist der Moment, wo Tanz für mich stattfindet.»
Trajal Harrell – Im gemeinsamen Raum der Zeit
Text zum Choreografen und Tänzer Trajal Harrell, Regisseur am Schauspielhaus Zürich, anlässlich seines Gastspiels in der Kunsthalle Zürich, 4. März bis 3. April 2022
kunsthallezuerich.ch
schauspielhaus.ch
Publiziert in:
Kunstbulletin 3/2022, S. 38–43.
artlog.net