Klare Komposition, reduzierte Ästhetik: Das Zürcher Museum für Gestaltung feiert 100 Jahre Schweizer Grafik.

Ein weisses Kreuz auf rotem Grund – so würden die meisten von uns die Schwei­zer­fahne beschreiben. Doch lässt es sich auch anders sehen: als rote Fläche, die in der Mitte ein Kreuz ausspart. Was irre­levant erscheinen mag, ist im Grafik­design essentiell. Das Zusammen­spiel zwischen Figur und Grund, die Be­zie­hung von Bild und Text in Bezug zum Weiss­raum gehören zum Hand­werk des Gra­fi­kers. Für dieses Hand­werk ist das Schweizer­kreuz zu einem Quali­täts­siegel ge­worden, wie sich derzeit in der Aus­stellung «100 Jahre Schweizer Grafik» im Zürcher Museum für Gestaltung nach­voll­ziehen lässt.

Von Plakaten, Flyern und Werbung über Erscheinungs­bilder und Logos bis zu Signa­letik und Schrift­design kommen alle Bereiche zum Zug. Ein Fries aus Plakaten schlägt den Takt hoch­quali­tativer Produktion: 1912 bis 2012, für jedes Jahr ein Plakat. Man kann erst die Jahre abschreiten oder bereits in die Nischen schlüpfen, in denen ver­schie­dene thematische Schwer­punkte und Fall­beispiele beleuchtet werden. Die Schweizer Besucher haben dort ihr freu­diges Wieder­sehen mit der Kauf­haus­kette ABM, deren knallige Punkte unaus­löschlich im kollektiven Gedächt­nis ge­speichert sind. Sie werden an die Tra­gödie der Swissair erinnert, die im Kult ihrer Signets weiter­lebt; und nicht zu­letzt begegnen sie dem M der Migros und dem SBB-Signet, zwei Zeichen, die immer noch so etwas wie Heimat bedeuten.

Im Mittel­punkt der viel­fältigen Aus­stellung stehen die 1950er und 1960er Jahre, als die Schweizer Grafik inter­national zum Begriff wurde. Swiss Style, damit verbinden sich eine klare geo­metrische, asym­metrische Kom­posi­tion, aufs We­sentliche reduzierter Einsatz der Gestaltungs­mittel und die Verwendung von serifen­losen Schriften. Seinen Ein­zug hielt er gemeinsam mit der Hel­ve­tica. Die 1956 von dem Typografen Max Miedinger entwickelte Grotesk­schrift verbreitete sich schlagartig. Ins­beson­dere bei grossen Konzernen stiess diese Ästhetik auf Resonanz. Layout­raster vereinfachten zudem die Ge­stal­tung einer konsistenten Corporate Identity.

Die Entwicklung dessen, was heute als Schweizer Grafik gefeiert wird, begann bereits in den zwanziger Jahren. Der russische Konstruk­tivismus spielt ebenso eine Rolle wie die holländische De Stijl-Bewegung und das Bauhaus. El Lissitzky, Jan Tschichold und Anton Stankwoski sind hier zu nennen, die alle auch eine Zeit lang in der Schweiz gelebt hatten. Mit Max Bill, Richard Paul Lohse und Gottfried Honegger setzte sich die Linie der Reduktion fort. Sie alle sind mit Ar­beiten vertreten und kommen in Film- und Fern­seh­bei­trägen zu Wort.

Kompo­si­torische Regeln, das wird einem beim Gang durch diese Aus­stellung be­wusst, haben zu hervor­ragenden Druck­erzeug­nissen von grosser formaler und inhaltlicher Wirkungs­kraft geführt. Josef Müller-Brockmanns «Moins de bruit» erzeugt mit einfachsten Mitteln maxi­male Spannung; Carlo Vivarellis Swiss­air-Plakat kombiniert Schrift, Foto­grafie und Bild raffiniert. Nur manch­mal setzt sich Pedanterie durch. So wird einem bei allem Respekt etwas unwohl, wenn Lohse die «Syste­mati­sierung der Ord­nung» und die «Kontrolle der Ele­mente» skandiert. Und man möchte nicht an die ganzen Corporate-Identity-Konzepte denken, die zu wahren Ord­nungs­bibeln auswachsen können.

Die strenge Seite wird zum Glück immer wieder durch den Humor gebrochen. Die legendären Foto­montagen von Herbert Matter für die Schweizer Tourismus­industrie sind Beispiele dafür oder das schöne Ausstellungs­plakat von Jean Widmer «pliable – empliable», dessen gelber Aufdruck sich zu einem Quadrat falten lässt. Nicht unerwähnt bleiben dürfen die allgemein beliebten TV-Spots von Migros oder Zürcher Verkehrs­vereinen, in denen beispiels­weise Frauen aufgefordert werden, ihre «Flaschen» zu retournieren. Die Verspielt­heit bricht auch nicht ab, wenn es um Leit­systeme im Verkehr und in Gebäuden geht. Dies zeigen Widmers teilweise rätsel­haften, touristischen Piktogramme für die süd­französische Auto­bahn oder die Signa­letik aus proji­zierten Bildern und Schriften für die Cinémathèque Française vom Büro Intégral Ruedi Baur.

Das Plakat von Herbert Matter, das in der Nische zu Foto­grafie und Grafik vor­ge­stellt wird, könnte als Leitmotiv für die ganze Ausstellung dienen: «All roads lead to Switzerland», heisst es da – für die Grafik, das macht die Schau deutlich, trifft das auf jeden Fall zu.
All roads lead to Switzerland. 100 Jahre Schweizer Grafik

«100 Jahre Schweizer Grafik»
Museum für Gestaltung, Zürich
10. Februar bis 3. Juni 2012
emuseum.ch

Publiziert in:
artline>Kunstmagazin
magazin.artline.org
29. März 2012

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