Videoarbeiten brauchen Formen der Präsen­tation, die ihre Wirkung und Bedeutung unterstützen. Die Retro­spektive des Video­künstlers Christoph Oertli im Kunst­haus Baselland macht sein Oeuvre als Erfahrungs­raum erlebbar und gibt einem damit einen Schlüssel in die Hand.

Die Treppe ins Unter­geschoss führt mich auf ein Podest. Ich halte inne und blicke hinaus. Bewegte Licht­bilder leuchten auf Wänden, dem Boden und frei platzierten Screens. Bevor ich die letzten Stufen in dieses Environment ­nehme, setze ich mich hin. Unbewusst folge ich einer Dramaturgie, die mich nahe an das Schaffen des Video­künstlers heranführt. Denn auch Christoph Oertli (*1962) steuert nicht gleich ein Ziel an, wenn er in Städte wie Tokio, Hong Kong, Brüssel oder Addis Abeba reist. Hat er einen Ort für sich entdeckt, kommt er immer wieder dorthin zurück, schaut und filmt. Wie dieser Park in Tokio («Sensing Bodies», 2020). Ich stelle mir Oertli vor, der die Luft anhält und die Aufnahme­taste drückt. Ab und zu ist er sein eigenes Stativ. Das Filmen eine Performance. In manchen Werken ist das sichtbar, wenn sein Schatten im Bild mitläuft («Cité Modèle», 2020) oder seine Hand mit dem Bildaus­schnitt spielt («Timeline», 2014). Seine Präsenz verleiht den Filmen einen existenziellen Charakter. Es ist aber auch ein Statement, dass der Blick der Kamera nie losgelöst von ihm existiert.

In Tokio ist es Winter. Die Zedern werfen ihre Schatten auf einen gelb­bräunlichen Rasen, der sich bis ins Unendliche auszu­dehnen scheint. Auf dieser traum­ähnlichen Bühne treten Geschäfts­männer auf: einer setzt sich zu einem Baum, einer legt sich hin, ein anderer steht da und liest ein Buch. In der Video­montage wirkt die Szenerie artifiziell, die einfachen Handlungen wie Rituale. Christoph Oertli beschreibt die ihm wichtige Nach­bearbeitung des Film­materials als «Vertiefung in den Moment». In seinen präzisen Montagen, in die er gerne auch inszeniertes Material einbaut, verdichten sich seine Beo­bachtungen und werfen grund­sätzliche Fragen über die Beziehung des Menschen zu seiner Umwelt auf. Die Retro­spektive macht die zentrale Rolle der Architektur und des Stadt­raums in dieser Beziehung sichtbar. Die Linien, Flächen, Ecken und Öffnungen in Oertlis Videos prägen zusehends mein Ausstellungs­erlebnis. Ich schlüpfe in einen kleinen Nebenraum und finde mich auch im Video in einem Zimmer wieder, das auf eine tragische Existenz verweist («M. René», 2012); in einer Nische lausche ich zwei jungen Äthiopiern, wie sie ihr Leben mit sechs weiteren Studenten in minimalen Platz­verhältnissen organisieren («Tension Box», 2014); ich gehe um eine Ecke und tauche ein in die schattigen Winkel von Brüssel, die zu Löchern werden, zu Durch­gängen in andere imaginierte Lebens­welten («The Ground is Moving», 2010/2020).

Christoph Oertli – Sensing Bodies

«Christoph Oertli – Sensing Bodies»
Kunsthaus Baselland, Muttenz/Basel
24. Januar bis 19. April 2019

kunsthausbaselland.ch
christophoertli.ch

Publiziert in:
Kunstbulletin 3/2020, S. 93/93
artlog.net

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