Schon mit 15 Jahren war für Martin Ziegelmüller klar, was er werden wollte: Nicht Bauzeichner, sondern Maler. Diesen Traum konnte er sich erfüllen. Ein Berufsleben im Einklang mit der Natur und mit sich selbst. Ein Berufsleben am Wasser und im Licht, in seiner Heimat und hoch oben am Polarkreis.
Am Rande von Vinelz, einem Achthundert-Seelendorf im Seeland, wohnt und arbeitet seit über fünfzig Jahren der Maler Martin Ziegelmüller. Dass es sich bei ihm um eine spezielle Figur handelt, wird einem bewusst, sobald man seinen Wohnsitz betritt. Auf einer länglichen Parzelle Land, die Ziegelmüller Anfang der sechziger Jahre für wenig Geld erwerben konnte, sind über die Zeit Wohnhaus und Atelier mit Bienenstöcken, Gemüsegarten, Kaninchenställen, einem Taubenschlag und zwei Froschteichen zu einem speziellen Biotop zusammengewachsen. Dieses scheint nicht nur die Entstehung eines beeindruckenden Oeuvres begünstigt zu haben, sondern ermöglichte der Familie Ziegelmüller auch, sich mehr oder weniger selbst zu versorgen. Was für Städter nach einem ländlichen Idyll klingen mag, war kein Zuckerschlecken. Mit geringen finanziellen Mitteln zogen Martin Ziegelmüller und seine Frau Ruth nicht weniger als fünf Kinder gross. Rückblickend staunen sie selbst über ihre Furchtlosigkeit, mit der sie ihr Leben in Angriff nahmen.
Frühe Berufung zum Maler
Für den jungen Martin Ziegelmüller stand bereits im Alter von fünfzehn Jahren «mit unerschütterlicher Gewissheit» fest, dass er Maler werden wollte. «Ich kann auch nicht erklären, was da genau passierte – ich wusste es einfach, es war definitiv.» Die Bestimmtheit, mit der er diese Absicht in Tat umsetzte, erstaunt umso mehr, als in seinem Milieu Kunst nie ein grosses Thema gewesen war. Seine Mutter stammte aus einer Bauernfamilie, das Umfeld des Vaters, der eine (heute nicht mehr existierende) Teigwarenfabrik gründete, waren Handwerker und Kleinunternehmer. Ziegelmüllers Berufswahl traf dementsprechend auf Skepsis, und er absolvierte auf den elterlichen Druck vorerst eine Lehre als Bauzeichner. Er aquarellierte und skizzierte indes weiter, und nach Lehrabschluss war er nicht mehr von seinem Weg abzubringen. Voller Wissbegierde zog er Anatomiebücher bei und klopfte bei Malern in der Umgebung an, um von ihnen zu lernen. Zu diesen gehörte als prominentes Beispiel der damals 90-jährige Cuno Amiet, in dessen Garten er oft an Samstagen zeichnete. Von einem Malermeister holte er sich schliesslich die Grundkenntnisse der Ölmalerei, und schon bald versuchte er sich auch in der Meistertechnik.
Ziegelmüller war sich immer bewusst, dass er selbst aktiv werden musste, um seine Existenz als Maler zu sichern: «Von Anfang an, versuchte ich, auszustellen und meine Bilder zu verkaufen, anstatt im Atelier zu sitzen, bis mein Genie entdeckt würde.» 1953, mit siebzehn Jahren, konnte er erstmals seine Bilder zeigen, im Restaurant Kreuz in seiner Wohngemeinde Herzogenbuchsee. Mit zweiundzwanzig Jahren folgte sein Auftritt in Bern, im sogenannten Anliker-Keller, der jungen Berner Künstlern eine Plattform gab. Ab 1970 begann seine Zusammenarbeit mit Dorothe Freiburghaus, die ihn in ihrem Kunstkeller in Bern bis heute regelmässig ausstellt. In die Stadt ist Ziegelmüller nicht gezogen. Er hatte seine Mühe mit der «Kunstszene» nie verborgen. Der Kunsthalle, in der Arnold Rüdlinger und Harald Szeemann in den fünfziger und sechziger Jahren das Publikum mit neuer Kunst konfrontierten und die Szene aufmischten, verfolgte Ziegelmüller mehr als skeptisch. Er setzte sich zwar mit den neuen Tendenzen auseinander und war auch nicht zu stolz, seine Meinungen im Laufe der Zeit zu revidieren; von seinem eingeschlagenen Weg und seiner konservativen Kunstauffassung liess er sich dadurch nicht abbringen. Um sich über Wasser zu halten, malte er Portraits. Zudem schloss er Freundschaften, die, wie sich zeigen sollte, zu seiner Unabhängigkeit beitrugen und neue Arbeitsfelder für seine Malerei eröffneten. So schuf Ziegelmüller in den Glasfabriken von Heinz Trösch, seinem bedeutendsten Mäzen, mehrere Werkgruppen, was Anfragen von anderen Betrieben, wie beispielsweise der Papierfabrik in Biberist nach sich zog.
Der Autodidakt / Von der Wahrnehmung lernen
Martin Ziegelmüller verbrachte zwar mit 19 Jahren eine kurze Zeit an der Académie André Lhôte in Paris, doch im Grunde war er Autodidakt. Er lernte von seiner Wahrnehmung, die er durch tägliche Beobachtungen in der Natur schulte. Seine Lebensform bot ihm zahlreiche Gelegenheiten dazu. Er verbrachte viel Zeit im Freien, war umgeben von Pflanzen und Tieren, die man in seinem Werk wieder findet. Als leidenschaftlicher Fischer verbrachte er die Morgen mit seiner Rute auf dem See oder am Fluss. Während er darauf wartete, dass es an der Leine zupfte, hatte er genügend Zeit, die Spiegelungen, Farben und Bewegungen des Wassers zu studieren. Wasser zieht sich durch sein ganzes Schaffen. «Meine Wasserbilder hätte es ohne das Fischen so wahrscheinlich nie gegeben», meint Ziegelmüller. Auch seine Reisen führten ihn an von Wasser geprägte Orte: häufig in den Norden ins regnerische Irland, an die Fjorde Norwegens und mehrere Male bis zum Polarkreis, weil ihn dieses Licht nicht mehr losliess.
Der Schriftsteller / Sprachliche Reflexionen
Parallel zum Malen schreibt Martin Ziegelmüller, um das zu erfassen, was beim Malen auf einer irrationalen Gefühlsebene abläuft. «Das Malen ist stark von den Emotionen abhängig. Wenn ich vor der Leinwand stehe, dann muss ich wie ein Dirigent den richtigen Rhythmus der Bewegungen und Formen finden. In diesem Vorgang steckt eine ganze Gefühlswelt. Ich brauche die gedankliche Reflexion, um Klarheit über mein Tun zu gewinnen.» Ziegelmüller behalf sich der Sprache, um seine Biografie, seine Arbeit und seine Umwelt zu reflektieren und um in Zwiegespräche mit anderen Malern zu treten. Seine Texte bewegen sich zwischen sachlichen und stimmungsvollen, literarischen Beschreibungen. Sie nehmen den Leser mit ins «Feld», wo der Maler seine Skizzen und Aquarelle für spätere Gemälde sammelt. Sie lassen ihn über seine Schulter blicken, wie er die Lichter der Stadt einzufangen versucht, und verschaffen ihm zugleich einen lebendigen Eindruck der nächtlichen Atmosphäre. Die Texte fügen den Gemälden eine faszinierende Dimension hinzu, indem sie den Kontext ihrer Entstehung beleuchten und Einblicke in die Gedanken des Malers geben. Erst mit sechzig Jahren hat Ziegelmüller sein erstes Buch veröffentlicht; inzwischen sind im Waldgut Verlag vier Bücher erschienen, in denen sich Ziegelmüller mit seinem Schaffen, «Der Maler – Le Peintre» (2005), «Der Maler auf seinem Drehstuhl» (2001), und seiner Biografie, «Eitelhans der Gevierteilte» (1998), «Über die Matten gehn zur Zeit des Sauerampfers» (1995), auseinandersetzt.
In seinem sechsundsiebzigsten Lebensjahr wird Martin Ziegelmüller in einer grossen Retrospektive im Kunstmuseum Bern und im Kunsthaus Langenthal geehrt und sein Lebenswerk einem breiten Publikum präsentiert. Diese späte Würdigung freut ihn, selbstverständlich, aber Ziegelmüller lässt sich von dem Ereignis nicht verrückt machen. Wichtiger ist, dass er möglichst ungestört malen kann oder Zeit hat, einen seiner Flussspaziergänge zu unternehmen. Die Fischerrute nimmt er dazu immer noch mit, obwohl er nicht mehr so viel fischt wie früher. Das Alter hat ihn ruhiger und gelassener gemacht. Er muss auch nicht mehr den grössten und schönsten Fisch fangen: «Ich habe in meinem Leben so viele Prachtexemplare gefangen, dass ich nicht mehr so gierig bin wie früher. Für mich ist es heute wichtiger, am Fluss entlangzugehen.» Ziegelmüller sieht trotz den Einschränkungen, die das Alter mit sich bringt, auch die positiven Aspekte: «Ich sitze viel lieber untätiger an einem Ort und schaue. Dabei spekuliere ich viel weniger, ob ich das oder jenes malen werde. Häufig betrachte ich etwas, ohne bereits eine Absicht zu haben. Das verschafft mir eine ganz neue Erlebnisintensität.»
Portrait Martin Ziegelmüller
Publiziert in:
«Kunstmuseum Bern»
Sonderpublikation des bulletins der Credit Suisse
Mai 2011, S. 8–9.