Das erweiterte Kunstmuseum Winterthur öffnet Ende Oktober nach zweijähriger Schliessung seine Toren wieder. Die Bedeutung der Sammlung kommt in der bis Ende Februar 2011 dauernden grossen Wechselausstellung «Die Natur der Kunst» sehr gut zur Geltung.
Weisse Kabel quellen aus der Mauer und drehen sich zu Rollen, Stahlstützen stemmen sich zwischen rohe Betondecken und -böden, transparente Abdeckfolie, Leitern, ein Eimer und andere Gegenstände liegen herum, Öffnungen sind mit gelben Holzplanken verbarrikadiert. Es sind nicht behelfsmässig zusammengezimmerte Behausungen mit ihrer improvisierten Infrastruktur, wie sie der Fotograf Georg Aerni (*1959 Winterthur) auf seinen Wanderungen durch Grossstädte wie jüngst Mumbai in Bilder fasste. Die Rede ist vom Kunstmuseum Winterthur, das seit Ende November 2008 aufgrund umfangreicher Sanierungsarbeiten derartige Bilder bot. Aerni war neben dem ebenfalls aus Winterthur stammenden Künstler Mario Sala eingeladen worden, den Umbau mit seiner Kamera zu begleiten. Entstanden ist eine Bildserie von beeindruckender formaler Qualität, die nicht nur dokumentiert, sondern die Baustelle als grosse künstlerische Installation erscheinen lässt.
Ein Umbau, so unangenehm seine unmittelbaren Auswirkungen auch sind, schafft die Möglichkeit für Veränderungen und kann Bestehendes neu ins Bewusstsein zu bringen. So zum Beispiel die Sammlung eines Museums, der nicht selten aufgrund publikumswirksamer Wechselausstellungen zu wenig Beachtung geschenkt wird. Das Kunstmuseum Winterthur hat die fast zweijährige Schliessung auf unterschiedlichen Ebenen genutzt, seine feine Sammlung ins Licht zu rücken. Die Hauptwerke gingen unter dem Titel «Gipfeltreffen der Moderne: Das Kunstmuseum Winterthur» auf eine Reise, die sie von Bonn, über Trento und Rovereto in Norditalien bis nach Salzburg führte. Eine kleinere Auswahl ist sogar bis nach Japan weitergereist und wird dort in verschiedenen japanischen Museen noch bis im März 2011 präsentiert.
Qualitative Dichte dank Privatinitiative
Die Wanderausstellung war Teil der Reihe «Die grossen Sammlungen», in der bereits die Vatikanischen Museen, das Museum of Modern Art, das Puschkin-Museum und das Guggenheim Museum ihren Auftritt hatten. Dass der Name Winterthur auf solche Metropolen folgen kann, liegt nicht in der quantitativen Grösse der Sammlung, sondern in der qualitativen Dichte. Seit der Eröffnung des Kunstmuseums 1915, dessen Bau sich zu einem grossen Teil aus privaten Spenden finanzierte, sind auch die Bestände immer wieder mit Schenkungen und Legaten von Winterthurer Sammlern erweitert worden. Das Segeln unter der Flagge «Gipfeltreffen der Moderne» verdankt es denn auch hauptsächlich der Sammlung von Werken der klassischen Moderne, die das Ehepaar Clara und Emil Friedrich-Jezler 1973 dem Kunstverein vermachte und die Gemälde von Léger, Braque, Gris, Arp bis Mondrian vereint. Sie schliessen an die Werke der Sammlung Wolfer an, die dem Kunstmuseum eine grosse Anzahl französischer Gemälde von Delacroix, Monet, van Gogh bis Bonnard vermachte. Wenn das Kunstmuseum Winterthur in die Welt zieht, reist es aber auch mit dem Nimbus, den Winterthurer Industrielle und Grossbürger mit ihren hochkarätigen Sammlungen der kleinen Stadt verliehen haben – die in der Villa Flora beheimatete Sammlung Hahnloser und die beiden bedeutenden Sammlungen von Oskar Reinhart am Stadtgarten und «Am Römerholz» gehören dazu. Die Werke präsentieren sich, mit Ausnahme derjenigen am Stadtgarten, im authentischen Umfeld der ehemaligen Wohnhäuser der Sammler und atmen den bürgerlichen Geist, aus dem heraus auch das Kunstmuseum Winterthur entstanden ist.
Sind die beiden letztgenannten Museen als wahre Gesamtkunstwerke zu erleben, ist es das Potential des Kunstmuseums Winterthur, dass es seine Bestände kontinuierlich erweitert und heute einen Bogen vom Impressionismus bis in die Gegenwart spannen kann. So finden sich in der neueren Sammlung eine Konzentration amerikanischer Malerei, darunter etwa Robert Mangold, und italienische Künstler der Arte Povera wie Mario und Marisa Merz, Giulio Paolini und Jannis Kounellis. Eine der jüngsten Positionen war bis Anfang September mit der amerikanischen Künstlerin Rita McBride im Erweiterungsbau des Museums zu sehen, der bereits im vergangenen März wieder geöffnet wurde. Der 1995 eingeweihte Bau des Architekturbüros Gigon & Guyer war wie schon der Altbau mit grosszügigen privaten Spenden finanziert worden und verschaffte dem Museum zusätzliche Präsentationsfläche für die neuere Sammlung und Wechselausstellungen.
Am 31. Oktober öffnet das Kunstmuseum Winterthur in neuer Frische seine Tore. Die Ausstellungssäle strahlen dann wieder die erhabene Gemütlichkeit von Wohnzimmern aus, die von der im Original erhaltenen Täfelung, Wandbespannungen und Teppichen ausgeht. Von den heimgekehrten Werken können es sich vorerst vor allem die Landschaftsbilder auf der weichen Wand bequem machen. Die grosse thematische Ausstellung zur Wiedereröffnung, die Credit Suisse unterstützt, breitet unter dem Titel «Die Natur der Kunst – Begegnungen mit der Natur vom 19. Jahrhundert bis in die Gegenwart» im ganzen Haus ein Panorama von über 150 Jahren auf das Wechselverhältnis von Natur und Kunst aus. Von Vincent van Goghs leuchtendem Sommerabend (Soir d’été) und Pierre Bonnards sich in Farbe auflösenden Landschaften in Südfrankreich geht die Reise weiter über Ferdinand Hodlers Schweizer Bergdarstellungen nach Norditalien zu Mario Merz Iglus und Leinwänden, die nicht mehr die Natur, sondern ihr zugrunde liegende Prinzipien ins Bild bringen, und schliesslich wieder in die Schweiz zu Gerhard Richters verschwommenem Wasserfall von Sils-Maria. Die verschiedenen Landschaften und künstlerischen Konzepte, denen man begegnet, zeigen die Spannbreite der Sammlung des Kunstmuseums Winterthur. Es ist eine Reise, die sich lohnt, auch wenn die grosse Wechselausstellung vorbei, die Leihgaben, welche die Ausstellung ergänzten, abgezogen und sich die Sammlung in einer neuen Präsentation eingerichtet haben wird.
Ein Umbau, so unangenehm seine unmittelbaren Auswirkungen auch sind, schafft die Möglichkeit für Veränderungen und kann Bestehendes neu ins Bewusstsein zu bringen. So zum Beispiel die Sammlung eines Museums, der nicht selten aufgrund publikumswirksamer Wechselausstellungen zu wenig Beachtung geschenkt wird. Das Kunstmuseum Winterthur hat die fast zweijährige Schliessung auf unterschiedlichen Ebenen genutzt, seine feine Sammlung ins Licht zu rücken. Die Hauptwerke gingen unter dem Titel «Gipfeltreffen der Moderne: Das Kunstmuseum Winterthur» auf eine Reise, die sie von Bonn, über Trento und Rovereto in Norditalien bis nach Salzburg führte. Eine kleinere Auswahl ist sogar bis nach Japan weitergereist und wird dort in verschiedenen japanischen Museen noch bis im März 2011 präsentiert.
Qualitative Dichte dank Privatinitiative
Die Wanderausstellung war Teil der Reihe «Die grossen Sammlungen», in der bereits die Vatikanischen Museen, das Museum of Modern Art, das Puschkin-Museum und das Guggenheim Museum ihren Auftritt hatten. Dass der Name Winterthur auf solche Metropolen folgen kann, liegt nicht in der quantitativen Grösse der Sammlung, sondern in der qualitativen Dichte. Seit der Eröffnung des Kunstmuseums 1915, dessen Bau sich zu einem grossen Teil aus privaten Spenden finanzierte, sind auch die Bestände immer wieder mit Schenkungen und Legaten von Winterthurer Sammlern erweitert worden. Das Segeln unter der Flagge «Gipfeltreffen der Moderne» verdankt es denn auch hauptsächlich der Sammlung von Werken der klassischen Moderne, die das Ehepaar Clara und Emil Friedrich-Jezler 1973 dem Kunstverein vermachte und die Gemälde von Léger, Braque, Gris, Arp bis Mondrian vereint. Sie schliessen an die Werke der Sammlung Wolfer an, die dem Kunstmuseum eine grosse Anzahl französischer Gemälde von Delacroix, Monet, van Gogh bis Bonnard vermachte. Wenn das Kunstmuseum Winterthur in die Welt zieht, reist es aber auch mit dem Nimbus, den Winterthurer Industrielle und Grossbürger mit ihren hochkarätigen Sammlungen der kleinen Stadt verliehen haben – die in der Villa Flora beheimatete Sammlung Hahnloser und die beiden bedeutenden Sammlungen von Oskar Reinhart am Stadtgarten und «Am Römerholz» gehören dazu. Die Werke präsentieren sich, mit Ausnahme derjenigen am Stadtgarten, im authentischen Umfeld der ehemaligen Wohnhäuser der Sammler und atmen den bürgerlichen Geist, aus dem heraus auch das Kunstmuseum Winterthur entstanden ist.
Sind die beiden letztgenannten Museen als wahre Gesamtkunstwerke zu erleben, ist es das Potential des Kunstmuseums Winterthur, dass es seine Bestände kontinuierlich erweitert und heute einen Bogen vom Impressionismus bis in die Gegenwart spannen kann. So finden sich in der neueren Sammlung eine Konzentration amerikanischer Malerei, darunter etwa Robert Mangold, und italienische Künstler der Arte Povera wie Mario und Marisa Merz, Giulio Paolini und Jannis Kounellis. Eine der jüngsten Positionen war bis Anfang September mit der amerikanischen Künstlerin Rita McBride im Erweiterungsbau des Museums zu sehen, der bereits im vergangenen März wieder geöffnet wurde. Der 1995 eingeweihte Bau des Architekturbüros Gigon & Guyer war wie schon der Altbau mit grosszügigen privaten Spenden finanziert worden und verschaffte dem Museum zusätzliche Präsentationsfläche für die neuere Sammlung und Wechselausstellungen.
Am 31. Oktober öffnet das Kunstmuseum Winterthur in neuer Frische seine Tore. Die Ausstellungssäle strahlen dann wieder die erhabene Gemütlichkeit von Wohnzimmern aus, die von der im Original erhaltenen Täfelung, Wandbespannungen und Teppichen ausgeht. Von den heimgekehrten Werken können es sich vorerst vor allem die Landschaftsbilder auf der weichen Wand bequem machen. Die grosse thematische Ausstellung zur Wiedereröffnung, die Credit Suisse unterstützt, breitet unter dem Titel «Die Natur der Kunst – Begegnungen mit der Natur vom 19. Jahrhundert bis in die Gegenwart» im ganzen Haus ein Panorama von über 150 Jahren auf das Wechselverhältnis von Natur und Kunst aus. Von Vincent van Goghs leuchtendem Sommerabend (Soir d’été) und Pierre Bonnards sich in Farbe auflösenden Landschaften in Südfrankreich geht die Reise weiter über Ferdinand Hodlers Schweizer Bergdarstellungen nach Norditalien zu Mario Merz Iglus und Leinwänden, die nicht mehr die Natur, sondern ihr zugrunde liegende Prinzipien ins Bild bringen, und schliesslich wieder in die Schweiz zu Gerhard Richters verschwommenem Wasserfall von Sils-Maria. Die verschiedenen Landschaften und künstlerischen Konzepte, denen man begegnet, zeigen die Spannbreite der Sammlung des Kunstmuseums Winterthur. Es ist eine Reise, die sich lohnt, auch wenn die grosse Wechselausstellung vorbei, die Leihgaben, welche die Ausstellung ergänzten, abgezogen und sich die Sammlung in einer neuen Präsentation eingerichtet haben wird.
Gipfeltreffen der Moderne – nun wieder in Winterthur
«Die Natur der Kunst: Begegnungen mit der Natur vom 19. Jahrhundert bis zur Gegenwart»
Kunstmuseum Winterthur
30. Oktober 2010 bis 27. Februar 2011
kmw.ch
Publiziert in:
bulletin der Credit Suisse
Sonderdruck zum Kunstmuseum Winterthur 04/2010, S. 46–47
«Die Natur der Kunst: Begegnungen mit der Natur vom 19. Jahrhundert bis zur Gegenwart»
Kunstmuseum Winterthur
30. Oktober 2010 bis 27. Februar 2011
kmw.ch
Publiziert in:
bulletin der Credit Suisse
Sonderdruck zum Kunstmuseum Winterthur 04/2010, S. 46–47