Wann entsteht ein neuer Blick auf etwas wie ein Einkaufszentrum, das zum allgemeinen Erfahrungsschatz gehört und als gegeben scheint? Vielleicht genau dann, wenn sein Zustand vage wird. Und die Zeichen dafür sind da: So dokumentierte der Designer David Jäggi jüngst die «Schönsten Einkaufszentren der Schweiz» in einem Buch, das sich in Titel und Gestaltung an die Publikationen des Schweizer Heimatschutzes anlehnt. Medien berichten über die zahlreichen brachliegenden Shopping Malls in den USA. Und nun widmet das Museum im Bellpark dem Shoppingcenter eine Ausstellung. Es hätte einer historisierenden Darstellung entsprochen, mit einem chronologisch und thematisch geordneten Rundgang das Thema zu präsentieren: Angefangen bei der Euphorie der sechziger Jahre, in denen das Shoppingcenter den neuen von Mobilität und Konsum geprägten Lebensstil verkörperte; weiter zur aufkommenden Kritik an der Zerstörung der Umwelt und des Landschaftsbildes in den siebziger Jahren; und schliesslich zum revisionistischen Blick der Gegenwart, den beispielsweise die Fotoarbeit zu Spreitenbach von Goran Calić einnimmt sowie das drohende Untergangsszenario der Verbrachung. Doch der Ausstellung geht es weder um eine Nachzeichnung der Geschichte noch darum, eine These für die Zukunft zu postulieren. Vielmehr brechen die Fragen aus dem Zusammentreffen der genannten Themen auf. Welche Rolle spielen die Einkaufszentren als halböffentliche Räume? Interessieren sie als Architekturaufgabe? Und nicht zuletzt: Was passiert, wenn in ihnen nicht mehr eingekauft wird? Werden sie dann zu «Museen der Dinge und Marken»? Dass Shoppingcenter eine grosse Nähe zu Museen aufweisen, macht die Ausstellung mit zahlreichen über das ganze Haus verteilten Archivbildern von Warendisplays aus den Beständen von Migros und Coop sowie den fotografierten Innenwelten von Jäggi deutlich. Die Gestaltung ist faszinierend und abschreckend zugleich, zielt sie doch darauf ab, das Verhalten der Konsumierenden zu steuern und zu kontrollieren. Für die Zukunft, sagen gewisse Stimmen, strebe man danach, den Shoppingcenter die Aura von Kunstmuseen zu verleihen, Stichwort «Art Priming». Der Leiter des Museums im Bellpark, Hilar Stadler, träumt indessen unverhohlen vom Museum in der Shoppingbrache. Und wer weiss, vielleicht sind nach den umgenutzten Industriehallen die Einkaufszentren an der Reihe.
Shopping Center
«Shopping Center. Zur Zukunft des modernen Marktplatzes»
Museum im Bellpark Kriens
24. August bist 10. November 2019
bellpark.ch
Publiziert in:
Kunstbulletin 10/2019, S. 65/66.
artlog.net